„Wachstumsregler“

von Eva Scholl

hormonell wirksame Chemikalien

Endocrine Disruptive Chemicals (EDC) vs Wachstumsregulatoren

Hormonsystem schädigende Chemikalien, auch als endokrine Disruptoren (EDC = endocrine disrupting chemicals) bekannt, in Pflanzenschutzmitteln identifizieren - lange erwartet.

 

EDC sind etwa polychlorierte Biphenyle (PCB), Bisphenol A und einige Phthalatweichmacher. Solche Chemikalien verursachen Diabetes, Übergewicht, Fortpflanzungsstörungen bei Frau und Mann, Brust-, Hoden- und Schilddrüsenkrebs, neurologische Störungen u.a.. Das hat die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits 2012 als globale Bedrohung bezeichnet.

 

Die EU-Kommission einigte sich im Juli mit den EU-Staaten auf Kriterien, um hormonell wirksame Chemikalien in Pflanzenschutzmitteln zu identifizieren. Doch das EU-Parlament legte Anfang Oktober sein Veto ein.

 

Es sollte eine Ausnahme geben: die Wachstumsinhibitoren, auch Wachstumsregulatoren oder Wachstumsgegler genannt. Diese Wirkstoffe greifen ausschließlich ins Hormonsystem von Arthropoden (= Gliederfüßler: Insekt, Milbe, Zecke & Co.) ein. Sie blockieren deren Häutung, die Synthese des Chitins oder die Umwandlung der Larve zum fortpflanzungsfähigen Insekt und werden etwa gegen Kartoffelkäfer oder Maiszünsler eingesetzt – eine Art Antibabypille für Krabbeltiere.

 

Wachstumsregulatoren – für Fortgeschrittene

Diese Wachstumsregler gelten in Fachkreisen als der Königsweg unter den Wirkstoffen, denn auf Insekten und andere Arthropoden wirken sie in kaum nachweisbaren Konzentrationen, sind aber für Menschen und andere Wirbeltiere völlig irrelevant. Mit ihren völlig anderen Wirkungsmechanismen* – ja, sogar mehrere – sind sie essentielle Instrumente zur Abwehr/ Vermeidung von Resistenz (von Insekten gegen Gifte). Sie wirken auch da noch, wo alles andere versagt hat, als Resistenz-Brecher. Das liegt unter anderem daran, dass mit Gift totmachen „einfacher“ ist und schneller geht. Das kann jeder.

Wachstumsregulatoren sind eine Frage des Verstehen-Wollens – Schädlingsbekämpfung für Fortgeschrittene.

 

--------------------------------------------------------

* Wirkungsmechanismus (Mode Of Action, MOA): Der Punkt im Stoffwechsel, an dem das Gift wirkt. Fast alle derzeit zugelassenen Wirkstoffe gegen Insekten wirken auf Nerven-Enzyme, die bei allen Lebewesen dieselben sind. s.a. http://schaedlingsbiologie.de/files/content/downloads/IPM-UBA-Integrierte-SchaedlingsBekaempfung-Volltext-S.1-451_SCHOLL(C)2007.pdf  S. 250

Wachstumsregler

Sammelbegriff für Wirkstoffe, die in die Entwicklung der Zielorganismen eingreifen, z.B. Häutungshemmer, Chitinsynthesehemmer, Juvenilhormon-Mimetika, Metamorphosehemmer (http://schaedlingsbiologie.de/infothek-a-z.html)

Auszug aus SCHOLL (1996-2007)

(Das Stichwort „Wachstumsregler“ kommt mindestens hundert Mal vor; besonders S. 109, 229, 247ff, 270):

5.2.1.10. Wachstumsregler

... behindern auf irgendeine Weise das Wachstum und / oder die Entwicklung der Tiere. In dieser Gruppe gibt es Wirkstoffe aus vielen verschiedenen chemischen Gruppen.

- Metamorphosehemmer (= Juvenilhormon) M

- Chitinsythesehemmer (C)

- Häutungshemmer (H)

Azadirachtin, Benzoylhydrazide H (THOMSON 1992, S. 162), Chlorflurazuron, Cyromazine (THOMSON 1992, S. 158), Diflubenzuron, Fenoxycarb, M, Hexafluron, Hexaflumuron, Hydropren M, Kinopren, Methopren, M, Novaluron, Pyriproxyfen M, RH 5992, S-Methopren, Triflumuron, C, (Acylharnstoffe);

(109)

-------------------------------------------------------------------

Wachstumsregler greifen selektiv Wirbellose an

- Fenoxycarb, verdampft nicht

- Hydropren, geringe Warmblütlertoxizität

- Methopren

(229)

-------------------------------------------------------------------

Wachstumsregler:

greifen in das Wachstum oder die Geschlechtsreifung ein. Beides ist bei Gliedertieren völlig anders organisiert als bei Wirbeltieren und hochempfindlich. Wachstums-"regler" verhindern das Erwachsen-werden, die Häutung, oder bremsen allgemein die Entwicklung von Gliedertieren. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten: es werden immer neue Larven produziert, aber keine Nachkommen mehr; das Chitin (= das Baumaterial für den Insektenpanzer) kann entweder nicht mehr gebildet werden, oder die Insekten kommen nicht mehr aus ihren alten, zu klein gewordenen Panzern heraus, ersticken also regelrecht in ihren alten Panzern. Manche Wachstumsregler führen auch dazu, daß die Tiere steril werden, also keine fruchtbaren Eier mehr legen.

Da Menschen und andere Wirbeltiere weder Chitinsynthese, noch Häutung im Sinne von Panzerwechsel, noch das Juvenilhormon haben, gelten diese Stoffe als für sie völlig unbedenklich.

Die wichtigsten Wachstumsregler sind akut weniger giftig als Kochsalz.

Jeder dieser Wirkstoffe trifft nur wenige Zielorganismen, d.h. sie sind selektiv (= auswählend), besonders, wenn sie als Köder oder als Schlupfwinkelpräparat ausgebracht werden können. Sie wirken überhaupt nicht repellierend (= abschreckend). Die Wirkung setzt erst nach einiger Zeit ein.

Allerdings gibt es einiges zu beachten:

- Wachstumsregler machen i.d.R. nur Sinn, wenn sie zum rechten Zeitpunkt eingesetzt werden. Der ist meist verpaßt, wenn die ausgewachsenen Vollinsekten lästig werden. Wenn bei Flohbefall beispielsweise die jungen Larven mit einem Wachstumsregler behandelt werden, gibt es keine erwachsenen Flöhe und demzufolge keine Belästigung. Ist die Flohplage da, dann sind akut erst mal andere Maßnahmen zu ergreifen. Hier macht es aber durchaus Sinn, den Wachstumsregler für die nächste Saison vorzumerken. Weiterführende Informationen hierzu finden sich in RUST et al 1995, Kapitel 10, 11.

- Wachstumsregler wirken nicht unmittelbar tödlich. Die Insekten laufen also noch eine ganze Zeitlang scheinbar gesund herum und stören weiter. Im Hygienebereich und für Personen mit wenig Verständnis ist das möglicherweise nicht tragbar.

- Juvenilhormone töten überhaupt nicht. Die Häutung bringt nur immer neue Larvenstadien hervor, aber keine vermehrungsfähigen Erwachsenen. Wo die Larven das schädliche Stadium sind, kann diese Gruppe u.U. den Schaden noch vergrößern. (Juvenilhormone können auch den Nutzen vergrößern, wenn z.B. Seidenraupen damit behandelt werden.)

- Die Betroffenen und die Schädlingsbekämpfer müssen eine ganze Menge an Geduld, Wissen und Verständnis aufbringen, um vom Einsatz der Wachstumsregler zu profitieren. Deshalb ist diese Wirkstoffgruppe nur für Fortgeschrittene geeignet.

Wachstumsregler können geradezu als modellhaft für den Grad an spitzfindiger Verfeinerung angesehen werden, den die Schädlingsbekämpfung in Zukunft wird anstreben müssen (COATS 1994, S.501).

Metamorphosehemmer / Juvenilhormon-wirksame Wachstumsregler:

- Hydropren, (Schaben); LD50-5.000; 34,3 EC, 9 EC

- Methopren, (Fliegen, Pharaoameisen, Flöhe, Läuse, Mücken Motten, ...); LD50-34.600; 5 EC; extrem flüchtig, wird von Styropor und Kunststoff leicht absorbiert (MOSER et al, 1992); "wandert" im Teppichboden u.a.; gute Kurzzeitwirkung gegen Flohlarven, instabil bei Sonnenlicht, Halbwertzeit im Boden weniger als 10 Tage (HINKLE 1992 p.149)

- Pyriproxyfen, (Fliegen, Mücken, Schaben, Flöhe, ...), LD50-5.000, gute Langzeitwirkung, verdampft nicht.

Chitinsynthesehemmer

- Chlorflurazulon Th150, (tötet auch Eier), 25%WP, 0,05%EC, 500g/l flowable; Kontakt, Fraß; Aim, Jupiter, Atabron, Helix; Ishihara, J, 1982; Ciba, ICI (substituted urea)

- Diflubenzuron, Th139; (Acylharnstoff, verhindert Chitinablagerung, tötet auch Larven und Eier) WP 25%, Dimilin; Duphar, NL, 1972; Schering 26 - Anhang A2 Insektizide & Akarizide Integrierte Schädlingsbekämpfung

- Flucycloxuron liquid, 25%, Integrierte Schädlingsbekämpfung Insektizide & Akarizide Anhang A2 - 27 

Zur Newsübersicht